Predigt zur Sennfelder Kirm: Liebe ist ... keine Kirchweih zu feiern

Text: Apg 6, 1-7

In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung. 2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen. 3 Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst. 4 Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben. 5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia. 6 Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie. 7 Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.

Liebe Gemeinde!

Eigentlich wollte ich Sie heute gleich am Anfang der Predigt ein bisschen ärgern. Ja, wirklich. Ich hatte mich schon so darauf gefreut. Wenn man schon mal als Gochsumer zur Sennfelder Kirm predigen darf. Ich hatte geplant, ein großes Lebkuchenherz mitzubringen mit der Aufschrift: „I love Gochsumer Kärm“. Tja, das kommt davon, wenn man einen Pfarrer aus Gochsheim am Kirchweihsonntag zum Gottesdienst einlädt. Dann bringt der so komische Sachen mit. 

Leider – oder zum Glück? Existiert das Lebkuchenherz gar nicht mehr. Ich hatte nur noch das hier im Angebot: Liebe ist … gerne zu kuscheln. OK, wenn man Kuschel heißt, ist das natürlich besonders lustig. 

Tja, das andere Lebkuchenherz kann ich ja leider dieses Jahr nicht nachkaufen. Denn der ganze Kirchweihbetrieb fällt aus.

Was für ein seltsamer Tag ist das heute. Seit Jahrhunderten feiern wir unser Friedensfest hier in Sennfeld und drüben in Gochsheim. Und eigentlich wären wir heute Nachmittag mit dem Gottesdienst auf dem Plan, kurz bevor es richtig losgeht mit dem Tanzen und Feiern, mit Musik und allem Drum und Dran. 

Sie alle haben ihre ganz persönlichen Verbindungen zur Kirchweih. Schöne Erinnerungen, vielleicht auch ärgerliche. Ganz kurz möchte ich Sie an meinen teilhaben lassen:

Vor 21 Jahren am Kirchweihsonntag bin ich in Gochsheim als Pfarrer eingeführt worden. Hatte am Abend vorher zusammen mit meiner Frau noch schnell die Tänze gelernt. Und dann ging’s mit den Mönchstockheimern vorneweg in die Kirche. Nachmittags die ersten Tänze am Plan, bis Mitternacht. Eine wirklich unvergessliche Amtseinführung, wie es sie wohl nicht oft gibt. 

Und an noch eine Sache kann ich mich erinnern. Es war noch ganz neu, wenn ich das damals richtig verstanden habe: Die Besuche zwischen Gochsheim und Sennfeld. Gemeinderat und Pfarrer als Ehrengäste auf dem jeweils anderen Friedensfest. Ja, natürlich, manchmal necken wir uns ein bisschen, so wie ich es gern gemacht hätte mit dem Lebkuchenherz. Aber: Wir suchen Wege des Friedens, zueinander, aufeinander zu. Das hat mich damals wirklich sehr beeindruckt. Inzwischen gibt’s ja auch das Grenzsteinfest. Nächsten Mittwoch wäre das.
Alles fällt aus. Fast alles. Der Gottesdienst zum Friedensfest, immerhin, er kann stattfinden. Mit Vorsicht, mit Abstand und teils mit Masken, wir sind das ja schon gewohnt inzwischen.

Ja, es muss sein. Und bei der Begründung für die Absage sind wir gleich schon mittendrin im Thema des heutigen 13. Sonntags nach Trinitatis. Denn da geht es um die Liebe. Nicht die Liebe wie hier auf dem Herz, so mit Kuscheln und so. Sondern Die Liebe Gottes zu uns und unsere Liebe und Hilfsbereitschaft untereinander. So wie wir es vorhin im Gleichnis vom barmherzigen Samariter gehört haben. Dazu gehört natürlich die Rücksicht aufeinander. Der Verzicht auf Liebgewonnenes, wenn wir dafür Leben retten können. Viele werden versucht sein, in diesen Tagen doch kleine Kirchweihen im privaten Rahmen zu feiern. Aber wir müssen eben auf Abstand bleiben, dem Virus keine Chance geben, sich zu verbreiten. Das ist nervig und traurig und immer mehr stelle ich fest, wie wir uns wieder nach „richtigen“ Kontakten sehnen, ohne Abstand, ohne Masken. Wir wir, ich auch, unvorsichtiger werden und plötzlich wieder eng zusammensitzen, als wäre alles wie immer.

Liebe ist … in diesem Jahr: Nicht zu kuscheln. Sondern Abstand zu halten, siebeneinhalb Lebkuchenherzen, wenn Sie’s genau wissen wollen, ich hab’s ausgemessen. Liebe ist … Abstand zu halten. So schwer es fällt. Und zu hoffen, dass wir diesen Virus so bald wie möglich in den Griff bekommen. Weltweit.

Liebe ist … in diesem Jahr: So vieles anderes als normal. Ich weiß nicht genau, was in Sennfeld gelaufen ist, aber an vielen Orten gründeten auf einmal junge Menschen Nachbarschaftshilfen, um die zu unterstützen, die in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen oder wegen ihrer Gesundheit nicht selbst einkaufen konnten. Liebe ist: Zu helfen, wo Hilfe nötig ist. 

So, wie es in unserem Predigttext erzählt wird von der Gemeinde in Jerusalem, wo es Streit gab über die Verteilung der sozialen Hilfen. Liebe ist: Das nicht einfach stehen zu lassen. Sondern gemeinsam zu überlegen, wie es besser werden kann. Dort hat die Gemeinde dann sieben Diakone eingesetzt. Menschen, die dafür da waren, die Hilfe zu organisieren. Menschen, die dafür sorgten, dass es gerecht zuging und dass alle genug hatten, um zu überleben.
Liebe ist … für andere da zu sein. Damals war es die Versorgung der Witwen. Und heute? 

353 Menschen sind am Mittwoch, fünf Jahre nach dem Tod des kleinen Alan Kurdi, in Palermo an Land gegangen. Menschen, die wahrscheinlich nicht mehr leben würden, gäbe es die Liebe nicht. Ein breites Bündnis von Menschen und Organisationen unter Federführung der EKD hat es möglich gemacht. Mit Spendengeldern ein Schiff gekauft, es ausgerüstet, ins Mittelmeer geschickt. Der berühmte Künstler Banksy, dessen Identität niemand kennt, hat ebenfalls ein Schiff gekauft. Gemeinsam haben sie diese Menschen aus dem Meer gerettet, die keine andere Möglichkeit mehr für ihr Leben gesehen hatten, als diese lebensgefährliche Fahrt übers Mittelmeer anzutreten. Und nein, sie tun es nicht, weil sie ja sowieso wissen, dass sie gerettet werden. Sie tun es, obwohl sie wissen, dass es ihren Tod bedeuten kann. Sie sind gerettet. Fürs erste. Wie es mit ihnen weitergeht und mit den vielen anderen? Sie können nur auf Liebe hoffen.

Liebe ist … in diesem Jahr an die zu denken, die vor dem Nichts stehen. Unsere Schaustellerinnen und Schausteller, die die Kirchweih ausrichten. Die Winzer, die auf ihrem Wein sitzenbleiben. Die Künstler und Kunstagenturen. So viele andere. Wie geht es ihnen? Haben wir Möglichkeiten, ihnen zu helfen, damit auch sie nicht ertrinken in ihren Sorgen, Ängsten und vor allem unverschuldeten Finanznöten?

Liebe ist … aufmerksam zu sein für die, die ihre sozialen Kontakte durch die Pandemie völlig verloren haben. Viele Seniorinnen und Senioren fühlen sich allein, aber nicht nur die. Wo können wir da sein für andere, bei allem nötigen Abstand und mit der gebotenen Vorsicht?

Liebe ist … so vieles in dieser Zeit, das ich gar nicht aufzählen kann. Liebe ist … aber auch: Über die Pandemie hinaus zu denken. Zum Beispiel an die Zukunft unser Kinder, unserer Enkel, unserer Urenkel. Ende September gehen Fridays for Future wieder weltweit auf die Straße. Und leider muss ich sagen: Es ist weiter nötig. Corona hat der Erde einen winzig kleinen Aufschub verschafft. Aber wenn wir nicht wirklich umdenken und unser Leben auch wegen dieser Krise umkrempeln, wird das Leben auf der Erde schon in wenigen Jahrzehnten ein anderes sein. Wenn es den Menschen überhaupt noch gelingt, zu überleben. Die Prognosen sind sehr, sehr ernst. 

So viele Probleme. So viel Ernst. Und doch: Wir als Christinnen und Christen haben eine Hoffnung. Eine, die über das Leben hier auf der Erde hinausgeht. Alles das: Es ist wichtig. Es ist sogar ganz zentral für unser Leben hier auf der Erde, dass wir liebevoll, rücksichtsvoll, behutsam mit allem umgehen, was uns umgibt. Mit den Menschen, den Tieren, mit der Natur. In dieser Liebe zu allem zeigt sich unser Glaube, unsere Überzeugung, dass auch wir geliebt sind. Darum war es damals für die Gemeinde in Jerusalem so zentral, sich um die Armen und die Witwen zu kümmern. Darum ist der barmherzige Samariter aus dem Gleichnis, einer, der nicht mal den „richtigen“ Glauben hatte, so ein leuchtendes Beispiel für die Liebe. Weil alle diese liebevollen Handlungen uns einen kleinen Vorgeschmack darauf geben, wie es sein wird: Eines Tages in Gottes Reich. Darum können wir trotz aller Sorgen und Ängste fröhlich und vergnügt nach vorne blicken.

Auch für unsere Erde will ich die Hoffnung noch nicht aufgeben, dass alles wieder gut wird. Darum möchte ich mit Ihnen ein ganz wunderbares Lied singen. Einen Text, den der große jüdische Schriftsteller Schalom Ben Chorin mitten im Zweiten Weltkrieg schrieb. „Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, bleibe uns ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt.“

Übrigens: Den Namen Schalom Ben-Chorin hat er selbst gewählt. Es heißt übersetzt: Friede, Sohn der Freiheit“. Lassen Sie uns diesen Frieden suchen. Lassen Sie uns die Liebe und die Freiheit suchen. Heute, am Friedensfest. Und jeden Tag.
 
Und der Schalom Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre an diesem Friedensfest unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.