Texte der Klänge in der Nacht am 25.11.2022

Station 1: Mose

Mose an der Kanzel

Ich bin Mose. Vor über 325 Jahren stellte man mich unter diese Kanzel. Als ein Zeichen für die Menschen: Die Predigten hier, sie stehen auf dem Grund der Zehn Gebote. Die Predigten, die hier gehalten werden, sie fußen auf dem Alten Testament. Ihr habt gemeinsame Wurzeln mit dem Judentum. Manchmal, in eurer Geschichte, da wäre es gut gewesen, ihr hättet auf dieses Zeichen geachtet.

Ich bin Mose. Seit über 325 Jahren stehe ich hier. Fast ein halbes Jahrhundert nach den Schrecken des Dreißigjährigen Kriegs hatte sich die Stadt immer noch nicht ganz erholt. Doch diese Kanzel, die ich stütze, sie sollte ein Symbol sein. Dafür, dass es weitergeht. Dafür, dass das Leben nicht zu Ende ist, so viel Not auch schreit.

Doch immer, immer wieder habe ich’s gehört, das Klagen um die Toten, das verzweifelte Schreien der Verwundeten, das Betteln der Verhungernden. Und auch diese Kanzel wurde zerstört, in tausend Einzelteile zersplitterte sie.

Von manchen Kriegen hören wir täglich in den Nachrichten. Andere sind weit entfernt. Doch überall das gleiche: Menschen sterben, Menschen leiden, Menschen verzweifeln und fliehen und suchen einen Ort zum Überleben. Menschen gehen auf die Straße für ihre Rechte trotz Lebensgefahr.

Die aus der Ukraine lasst ihr rein. Doch weiterhin seht ihr zu, wie die Menschen aus Afrika voller Verzweiflung in die völlig untauglichen Schlauchboote steigen. Ihr seht zu, wie sie ertrinken im Meer. Das Mittelmeer, in dem ihr im Sommer zur Erholung planscht, ist ein großes Grab geworden. Die Grenzen Europas sind dicht für alle, die nicht aus der Ukraine fliehen. Immerhin, eure Regierung gibt nun Geld. Für die private Seenotrettung. Von der Kirche mit initiiert. Als wäre es nicht ihre ureigenste Aufgabe, das selbst in die Hand zu nehmen.

Ich bin Mose. Vor über 325 Jahren stellte man mich unter diese Kanzel. Ich habe Schlimmes erlebt in dieser Zeit, schwere Kriege, unmenschliche Verfolgungen, den Massenmord an uns Juden. Kann es nicht einfach mal ein Ende haben? Kann nicht einfach Friede sein?

An manchen Tagen

An manchen Tagen
in manchen Nächten
wenn die Bomben fallen
und die Tränen

An manchen Tagen
in manchen Nächten
dringt aus dem Bunker meiner Seele
kein Laut.

An manchen Tagen
in manchen Nächten
wenn die Menschen ertrinken
und die Hoffnung

An manchen Tagen
in manchen Nächten
ist der Bunker meiner Seele
fest zugebaut.

Wunden

Christina Brudereck

ohne Titel

9. 4. 2022

Dmitri Strozew

Im Wortbruch

Marlies Blauth

Lied: der kleine Friede

Station 2: Anna Hoefel

Anna Hoefel

Ach Mose, dich habe ich nicht mehr kennengelernt. Erst 30 Jahre nach meinem Tod kamst du hierher. Aber ich weiß, wovon du sprichst, Mose. Ich kenne das nur zu gut.

Mein halbes Leben lang war Krieg. Ich war 15, als er begann, und 45, als er endete. Ich habe die Schweden erlebt, die uns leidlich gut behandelten. Einmal war sogar König Gustav Adolf hier. Ich habe unter den kaiserlichen Truppen gelitten, die das letzte aus uns herauspressten. An manchen Tagen mussten wir Fuhrwerke voller Brot backen für die Truppen, es war nicht zu schaffen. Alles Geld, alle Wertsachen pressten sie uns ab. Behandelten uns schlechter als Vieh. So viele, viele hungerten und starben. Die Pest raffte den Rest dahin. Tausende waren es. Und nach dem Krieg, als es endlich, endlich vorbei war, nach dem Krieg war der klägliche Rest verarmt, viele Häuser zerstört, Menschen vereinsamt.

Fragt mich nicht, wie viele liebe Menschen ich verloren habe in dieser Zeit. Ich möchte nicht dran denken. Es war schwer, mit der Trauer zu leben. Es war schwer, mit der unverdienten Gnade weiterzuleben: Wir haben überlebt! Und uns ging es bald wieder sehr gut. Mein Mann Johann war ein in ganz Deutschland bekannter Jurist, wir wohnten in einem der schönsten Häuser der Stadt, dem Schöpperhaus. Heute steht nur noch das Erdgeschoss, der Rest ist einem anderen Krieg zum Opfer gefallen. Sicher kennt ihr es. Schräg gegenüber ist heute das Café Vorndran, und in unserem stolzen Haus war das Restaurant Dalmatien, heute heißt es Gasthaus zum Roth, direkt vor der Roth-Brauerei.

Im Eingang hängt noch heute ein Gedicht meines Mannes. Geht doch mal hinein, lest selbst, was dort steht. Weise Worte hat er geschrieben, mein geliebter Mann. Denn wir kannten ja den Tod, das Abschiednehmen. Wir wussten immer: Wir sind nur Gäste hier auf Erden. Er schrieb:

Dies Haus ist mein und doch nicht mein.
Der es vor mir besessen,
der sagte auch, es wäre sein
und jetzt ist er vergessen.

Man trug ihn hin, ich nahm es ein,
ein andrer kommt nach mir darein.
Wohl dem, der hier bei seiner Zeit
Des Lebens sich als Weiser freut.

So haben wir gelebt in schweren Zeiten. In Krieg und in Frieden. Das Haus gehört einem anderen nun und wird wieder anderen gehören.
Wir gehen dahin, wir leben, lieben und leiden und vergehn.
Und manchmal bleibt eine Ahnung davon, wer wir waren.

Ein Gedicht.
Ein Grabmal.
Ein halbes Haus.

Mich trösten Abendlied und Morgenstern

Ursula Matenaer

Ich bin der Welt abhanden gekommen

Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben.
Sie hat so lange von mir nichts vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben.

Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält;
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

Ich bin gestorben dem Weltgewimmel
Und ruh’ in einem stillen Gebiet.
Ich leb’ in mir und meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied.

Friedrich Rückert

Lied: Meine Seele ist stille in dir

Station 3: Freiherr von Trautitz

Grabmal

Hans Georg Freiherr von Traudisch ist mein Name. Sohn des bekannten kaiserlichen Feldmarschallleutnants Traudisch und Schwager des Schweinfurter Stadtkommandanten Hieronym Graf Lodron, verwandt mit dem kaiserlichen Generalleutnant Matthias Gallas. Hans Georg Freiherr von Traudisch ist mein Name. Kaiserlicher Hauptmann hier in Schweinfurt.

19 Jahre war ich alt. Ein stolzer junger Mann war ich, kein Wunder bei dieser Verwandtschaft! Stolz und stark ging ich mit diesen stets zum Aufstand neigenden Schweinfurtern um, wie es mir beliebte. Ich gehörte zur Besatzungsmacht. Sie hatten zu dienen. Genau wie die mir untergebenen Truppen. Wer sollte mir schon etwas anhaben? Mir, dem jungen, aufstrebenden Freiherrn von Traudisch, Hauptmann der kaiserlichen Truppen?

Bis zu jenem Tag, morgen vor 376 Jahren, früh um 2 Uhr. In wenigen Stunden also jährt sich mein Tod.

Was geschah? Das weiß heute niemand mehr. Nur dies: Niemand weinte um mich, außer meiner lieben Mutter. Keiner vergoss auch nur eine Träne. Nicht meine Untergebenen, nicht die Menschen in Schweinfurt. So steht es in der Chronik der Stadt vermerkt: „Wurd von der Mutter (die sich hier noch aufhielt) sehr betrauert, desto weniger aber von denen, die ihn im Quartier gehabt hatten.“

Die Schweinfurter hassten mich. Sie wollten nicht mal dieses schöne Grabmal haben. Vermutlich entfernten sie es, sobald wir von den Schweden vertrieben wurden. Erst vor 35 Jahren entdeckte man es unterm Bodenbelag des Querhauses, wo sie es offenbar verborgen hatten, und stellte es hier auf. Was wohl die Menschen von damals dazu sagen würden, dass ich nun zurück bin in ihrer Kirche?

Habe ich mein Leben vergeudet?
Hätte ich es anders leben sollen?
Hätte ich anders leben können?

Wenn wir uns im Jenseits treffen – werden sie mir vergeben?

Wird Gott mir meinen jugendlichen Hochmut vergeben?

Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr

Huub Oosterhuis

Wo

Marie-Luise Kaschnitz

Wir kommen und gehen

Lothar Zenetti

Lied: Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen

Station 4: Amalia Truchsess von Pommersfelden

Amalia

Anno 1632 den 3. Juli ist die wohledle, viel ehren- und tugendreiche Jungfrau Amalia Rosina geborne Truchsessin von Pomersfelden allhier in Gott selig entschlafen. Ihres Alters – (kurze Pause) – Jahr. Dieser Seelen Gott gnädig sein wolle.

So steht es auf meinem Grabstein. Ausgerechnet mein Alter ist heute nicht mehr lesbar. Wie sich das für eine echte Dame geziemt. War ich alt? War ich noch ein junges Mädchen? Was ist geschehen? All das ist in Vergessenheit geraten in den 390 Jahren seit meinem Tod.

Mir gefällt es, wenn ihr mich als eine junge Frau denkt. Viel ehren- und tugendreich. Wie ich von Pommersfelden bei Bamberg hierherkam? Niemand weiß es. Der Dreißigjährige Krieg hatte uns alle in der Hand, auch unser altehrwürdiges Geschlecht der Truchseß von Pommersfelden.

Nach langer, entbehrungsreicher Zeit der Besatzung durch die kaiserlichen Truppen hatten die Schweden diese Stadt eingenommen. Und sie behandelten uns gut. Wir hier waren der Hauptstützpunkt in Franken. Ich habe ihn sogar selbst gesehen, den legendären König Gustav Adolf! Drei Tage war er in der Stadt. Und allein in diesen drei Tagen veränderte er alles. Er gründete ein Gymnasium, das heutige Celtis-Gymnasium. Sogar eine Universität plante er, doch sein Tod und der weitere Verlauf des Krieges haben das verhindert.

Und auch ich selbst hatte nach seinem Besuch hier in der Stadt nicht mehr lange zu leben. Wenige Monate später endete mein Leben.

Ja, ein junges Mädchen konnte leicht den Tod finden in dieser dunklen Zeit. Doch trotz aller Dunkelheit, aller Ängste, aller Zweifel und Sorgen: Ich halte eine Blume in der Hand. Als ein Zeichen für euch: Die Hoffnung lebt weiter. Gott wolle meiner Seele gnädig sein.

Tod

und ich, der tod,
komme über euch

drohend
liebend
bergend
alles beendend

kein entrinnen
jung, alt, mir egal
stark und gesund
alt und lebenssatt

an mir kommt ihr
nicht vorbei

angst und trauer
not und entsetzen
schmerz und verlust

doch am dritten tag
erblüht die blume

Freunde, dass der Mandelzweig

Schalom Ben-Chorin

Lied: Ich bin ja nur ein Gast auf Erden

Stations 5: Adventskranz

Im Dunkel

Am achten Tag
als Gott
einen Moment
wegsah
sammelten sie sich.

Die Verfolgten.
Die Unterdrückten.
Die Ausgebombten.
Die Verhungerten.
Die Gefolterten.
Die Kinder ohne Zukunft.
Die Ertrunkenen.
Die Verzweifelten.

Hoffnung erstarb.
Alles umsonst.
Keine Zukunft,
keine Gegenwart.
Keine Vergangenheit.

Nicht für sie.

Nur Nichts

Nur Dunkel.

Nur Tod.

Und es ward Nacht.

Licht

An einem fernen Punkt
irgendwo im Universum
machte sich auf
ein Photon.

Ein einzelnes Teilchen
aus reinem Licht
eine elektromagnetische Welle
oder beides
wer weiß das schon
rätselhaftes Phänomen

 

„Kommt mit!“, sprach es
zu seinen Freunden
und manche machten sich
auf den Weg
hinaus ins Unbekannte
hinaus ins Dunkel
hinaus in die Welt

Immer mehr wurden sie.
Immer mutiger wurden sie.
Immer lebendiger wurden sie.
Immer hoffnungsfroher wurden sie.

Eine Millisekunde
und Hundert Millionen Jahre später
machten sie plötzlich
das Dunkel hell
trugen sie
die Botschaft in die Welt:

Fürchtet euch nicht!
Ich bin das Licht der Welt.

 

Licht II

Mitten im Dunkel
geschah es
dass aus Versehen
ein Licht erschien.

Das Dunkel murrte
es war doch so schön
so bequem
in all seiner umfassenden Macht

Doch das Licht
schien unbekümmert weiter
was kümmerte es das Dunkel
sie kannten sich doch nicht.

Alle Ecken
alle Ritzen
selbst die Trauer
brachte es zum Leuchten

Und plötzlich
konnte das Dunkel
nicht mehr traurig sein
Fröhlich und ausgelassen

Lachten sie gemeinsam
die Trauer hinweg.

Schweige und höre

Max Feigenwinter

Wir harren, Christ, in dunkler Zeit

Rudolf Alexander Schröder

Vorausdeutung

Hanna Buiting

Lied: Dein Segen leuchtet

Station 6: Krippe

Der rote Engel

Ich bin der rote Engel.

Rot: Die Farbe der Liebe.

Der Leidenschaft.

Des Blutes.

Ja!

Ich bin der rote Engel.

Ich bin die Botschaft:

Voller glühender Leidenschaft

liebt euch Gott

voller Leidenschaft und Liebe

kommt er zu euch

Macht sich euch gleich

Lebt euer Leben

Lernt eure Schmerzen kennen

eure Einsamkeit

euren Tod.

Ich bin der rote Engel.

Ich weiß, wie Gott es weiß,

um das Blut, das floss

Um die Tränen, die geweint wurden

Ich weiß um all das Leid, all die Kriege, all die Verzweiflung.

Ich habe die Farbe des Bluts.

Ich bin der rote Engel

Und ich sage euch:

Rot ist die Farbe der Liebe.

Ihr seid unendlich geliebt.

Engel

Hanna Buting

Ich setze auf die Liebe – Weihnachtspsalm

Hanns-Dieter Hüsch

Lied: Der Müden Kraft

Gebet

Wir feiern Weihnachten, Gott,

wir feiern das Wunder,

dass du, Gott, als Mensch in die Welt kamst.

Wir bitten dich:

Lass uns dieses Wunder spüren!

Lass Weihnachten werden, Gott,

lass Weihnachten werden für uns und alle,

die Weihnachten verloren haben.

Wir bitten dich für die Menschen,

die heute einsam und traurig sind,

die sich verlassen fühlen.

Lass sie durch ihre Tränen hindurch die Freude entdecken.

Wir bitten dich für die,

die nichts zu essen und keine Heimat haben.

Für die Menschen auf der Flucht in ihren Verstecken.

Zünde ihnen ein Licht an in dunkler Nacht.

Wir bitten dich für die, deren Herz stumpf bleibt.

Die nichts mehr hören können vor lauter Weihnachtsgeschrei,

die nichts mehr sehen wollen, vor lauter falschem Glanz.

Erzähle du ihnen, ganz leise, was Weihnachten ist.

Lass Weihnachten werden, Gott.

Heute und morgen und jeden Tag.

Amen.

Sabine Bäuerle

Vaterunser

Vater unser im Himmel.

Geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Amen.

Weihnachtssegen

Und nun geht. Geht mit Gottes Segen.

 

Geht hinein ins Dunkel dieser Nacht.

 

Spürt in allem, was euch dort begegnet,

 

die Freude, die euch Gott hat zugedacht.

 

Also geht. Gehet eure Wege.

 

Füllt die Erde an mit Zuversicht.

 

Singet laut an gegen alle Zweifel

 

von dem, der durch dies Kindlein zu uns spricht.

 


Doch nun geht. Die Nacht ist voller Wunder.

 

Das Leben ist erschienen uns im Kind.

 

Es lässt uns ahnen Licht und Fried und Freude

 

für alle die, die guten Willens sind.

 

Lied: Abendlied