Predigt: Was ist Rettung?

Text: Röm 10, 9-17 (Übersetzung: BasisBibel)

9 Wenn du also mit deinem Mund bekennst:
»Jesus ist der Herr!«
Und wenn du aus ganzem Herzen glaubst:
»Gott hat ihn von den Toten auferweckt!«
Dann wirst du gerettet werden.
 10 Denn aus dem Herzen kommt der Glaube,
der gerecht macht.
Und aus dem Mund kommt das Bekenntnis,
das zur Rettung führt.
 11 So steht es ja in der Heiligen Schrift:
»Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.«
 12 Das gilt ohne Unterschied für Juden und Griechen.
Alle haben ein und denselben Herrn.
Und der lässt alle an seinem Reichtum teilhaben,
die ihn anrufen.
 13 Denn es heißt ja auch:
»Jeder, der den Namen des Herrn anruft,
wird gerettet werden.«
 14 Aber wie kann man jemanden anrufen,
an den man nicht glaubt?
Oder wie kann man an jemandem glauben,
von dem man nichts gehört hat?
Und wie kann man von jemandem hören,
wenn es keine Verkündigung von ihm gibt?
 15 Wie aber kann es eine Verkündigung geben,
wenn niemand dazu ausgesandt wurde? –
Gerade darüber steht ja in der Heiligen Schrift:
»Willkommen sind die Boten, die Gutes verkünden!«
 16 Aber nicht alle haben auf diese Gute Nachricht gehört.
So fragt schon Jesaja:
»Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt?«
 17 Also: Der Glaube kommt vom Hören auf die Botschaft.
Die Botschaft aber wirkt durch den Auftrag,
den Christus gegeben hat.

Liebe Gemeinde!

Diese Woche habe ich mich mit einem Kollegen über den Predigttext unterhalten. Und wir haben uns beide gefragt: Was will denn der Paulus da eigentlich? Dann streut er noch irgendwelche Bibelzitate ein, die gar nicht so richtig dazu passen. Echt, Paulus, manchmal hast du so ausgefeilte Argumentationslinien. Und hier? Irgendwie ein bisschen wirr, auch wenn wir vielleicht verstehen, was du da willst.

Gut, Paulus möchte wohl sagen: Wir werden gerettet durch den Glauben. Und der Glaube kommt aus der Predigt. Also, lasst uns predigen.

OK, Paulus, bin ja schon dabei.

Dann lassen Sie uns doch mal von der Predigt als Ausgangspunkt gleich ans andere Ende der Argumentationskette von Paulus gehen und die ganzen Zwischenschritte auslassen. Am Ende steht: Die Rettung.

„Dann wirst du gerettet werden“.

Was heißt denn das?

Was heißt das hier im Krankenhaus? Für Menschen, bei denen die Ärzte eben keine Rettung mehr sehen?

„Wenn du aus ganzem Herzen glaubst, dann wirst du gerettet werden.“

Was soll das bedeuten? Ist das nicht nur religiöses, vertröstendes Blabla für jemanden, der mit dem Tod ringt?

Von Rettung haben wir in diesen Tagen des Wahlkampfs auch viel gehört. Jede Partei hat andere Konzepte dazu, wie unsere Erde, unsere Gesellschaft, unser Land gerettet werden kann. Und wer oder was überhaupt gerettet werden soll. Die Wirtschaft? Das Klima? Oder geht beides gemeinsam und das ist gar keine Alternative, zwischen der wir wählen müssen?

Weit über eine halbe Million Menschen waren am Freitag allein in Deutschland auf der Straße, um für die Rettung der Menschheit zu demonstrieren. Für wirksame Klimarettungsmaßnahmen.

Wer hat die richtigen Konzepte, um die Erde zu retten? Das ist, wenn wir die Wissenschaft ernst nehmen, gar keine parteipolitische Frage, sondern eine Frage des Überlebens der Menschheit. Auch da sagen viele Wisschenschaftler*innen heute schon ganz klar: Es gibt keine Rettung mehr. Die Erde wird sich unweigerlich so weit aufheizen, dass ein Überleben der Menschheit unwahrscheinlich bis unmöglich wird. Vielleicht können wir’s noch ausreichend begrenzen, aber sicher ist das nicht, und ganz bestimmt nicht, wenn wir weitermachen wie bisher. Das ist leider nicht aus einem Katastrophenfilm im Fernsehen. Das ist das, was uns die Wissenschaft zunehmend eindringlicher und verzweifelter sagt: Die Chance auf Rettung ist gering, doch wenn wir sofort handeln, kann’s noch gelingen.

„Wenn du aus ganzem Herzen glaubst, dann wirst du gerettet werden.“

Wird uns Gott denn retten vor der Klimakatastrophe?

Wird Gott das Meer besänftigen wie Jesus den Sturm? Wird er die schmelzenden Eismassen aufhalten, den Meeresspiegel bremsen, die Regenmassen zurückhalten, das Wasser so verteilen, dass wir keine Dürren mehr haben? Wird er das Plastik aus dem Meer fischen, das Artensterben aufhalten, die Permafrostböden wieder einfrieren lassen, aus denen Methan entweicht?

Nein, das ist uns klar. Wird er nicht. Das ist schon unsere ganz eigene Verantwortung. Die Erde bebauen und bewahren sollen wir, so steht es in der Schöpfungsgeschichte. Haben wir, wenn wir ehrlich sind, nicht gut gemacht.

Heute ist ein Tag, an dem wir vielleicht nochmal Weichen für die Zukunft stellen können. Für Entscheidungen, die unseren Kindern und Enkeln das Leben auch noch in 50, 100 oder 200 Jahren möglich machen. Entscheidungen für die Jüngeren, die noch nicht wählen gehen dürfen, die von uns abhängig sind. Das ist eine große Verantwortung für uns.

Aber da steht doch: „Wenn du aus ganzem Herzen glaubst, dann wirst du gerettet werden.“

Also: Was heißt „Rettung“ für Paulus?

Rettung – das geht für ihn tiefer als die Heilung einer momentanen Situation. Es geht um Sie. Um mich. Ganz persönlich. Um unsere Beziehung zu Gott. Darum, dass nichts mehr zwischen uns steht. Und, ehrlich gesagt, habe ich vorhin um der Verständlichkeit willen den Mittelteil des Satzes weggelassen. Paulus hatte geschrieben:

Und wenn du aus ganzem Herzen glaubst:
»Gott hat ihn von den Toten auferweckt!«
Dann wirst du gerettet werden.

Darum geht es letzten Endes in diesem ganzen Text: Um das Vertrauen darauf, dass unsere Beziehung zu Gott – jedenfalls von seiner Seite – so stark ist, dass uns nicht einmal der Tod treffen kann. Darum, dass wir an dieser letzten Grenze nicht allein sind. Weil Jesus uns vorausgegangen ist. Darum, dass selbst dort, im Tod, Gottes Liebe und Zuneigung nicht endet – dass er eine Zukunft für uns hat, auch am Ende unseres Lebens.

Und wenn du aus ganzem Herzen glaubst:
»Gott hat ihn von den Toten auferweckt!«
Dann wirst du gerettet werden.

Zugegeben, das ist nur ein schwacher Trost für alle, die versuchen, sich ins Leben zurückzukämpfen. Ein schwacher Trost für die, die einen lieben Menschen betrauern. Ein schwacher Trost für Kranke und Einsame, für Benachteiligte, für die Traurigen. Ein schwacher Trost für die, die sich Rettung in dieser Welt erhofft hatten. Kann es denn nicht einfach sein wie im Evangelium, wo der Glaube der Mutter dazu führte, dass die Tochter gesund wurde?

Oder ist es doch kein schwacher, sondern gerade ein ganz besonders starker Trost? Egal, wie sehr ich in meinem Bemühen um Gesundheit oder Rettung scheitere: Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Keine Krankheit, nicht einmal der Tod hat letzte Macht über mich.

Und wenn du aus ganzem Herzen glaubst:
»Gott hat ihn von den Toten auferweckt!«
Dann wirst du gerettet werden.

Ich möchte noch hinzufügen, denn das ist hier von Paulus schon ziemlich hart ausgedrückt: Dieses „von ganzem Herzen glauben“, das ist nichts, was wir sozusagen liefern müssten. Natürlich ist es erlaubt, zu zweifeln. Mit Gott zu hadern, gerade in Zeiten der Krankheit, der Krise. Die Psalmen sind voll von Anklagen an Gott, Jesus selbst hat am Kreuz Psalm 22 zitiert: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Selbst, wenn es dir schwer fällt zu glauben: Gott glaubt aus ganzem Herzen an dich. Darum wirst du gerettet werden.

Eins möchte ich noch anhängen.

Immer dann, wenn sich Kirche ins alltägliche Geschehen einmischt, so wie etwa jetzt bei den Klimademos, dann werden Stimmen laut: „Die Kirche soll sich mal gefälligst ums Seelenheil ihrer Schäfchen kümmern und die Politik in Ruhe lassen!“

Mal abgesehen davon, dass die Bibel das Konzept einer vom Körper getrennten Seele gar nicht so kennt – Jesus hat das auch anders gesehen. In den Seligpreisungen ging’s um die, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird für den Überfallenen nicht bloß gebetet. Und auch die Propheten im Alten Testament forderten „Recht und Gerechtigkeit“ für die Menschen. Amos wetterte sogar im Namen Gottes: „Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen.“ - solange Recht nicht strömt wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Amos 5, lesen Sie’s mal nach.

Darum: Wir können als Christinnen und Christen gar nicht schweigen. Wir können nicht die Hände in den Schoß legen und sagen „Gott, mach du mal, kümmern uns nur um das Seelenheil.“ Die Rettung in dieser Welt geschieht durch uns.

Recht und Gerechtigkeit, das Wohl der Menschen, die Bewahrung der Schöpfung: Alles das sind Dinge, die uns Gott in dieser Welt anvertraut hat. Diakonie und Caritas sind deutlich sichtbarer Ausdruck dieses Auftrags, der aber für uns alle gilt. Wie glaubwürdig wäre denn unsere Botschaft, wenn wir uns davor drücken würden? Wenn wir nicht alles daran setzen würden, Menschen zu retten, soweit es in unserer Macht steht – egal, ob sie ertrinken, krank sind, Hunger leiden oder verfolgt werden oder ob ihre Zukunft durch den Klimawandel ganz grundsätzlich bedroht ist?

Paulus sagt es in seinem letzten Satz des heutigen Predigttextes so:

Der Glaube kommt vom Hören auf die Botschaft.
Die Botschaft aber wirkt durch den Auftrag,
den Christus gegeben hat.

Das ist unser Auftrag. Recht und Gerechtigkeit. Bebauen und bewahren. Frieden und Versöhnung bringen. Sorge tragen für das Wohl der Menschen. Für das körperliche Wohl genau so wie für das seelische, denn es gehört zusammen, es ist untrennbar verbunden. Die Bibel hat ein Wort dafür: Schalom. Wir übersetzen es mit „Frieden“, aber es ist weit mehr als das Schweigen der Waffen. Es ist die umfassende Versöhnung von Menschen, Gott und Schöpfung. Diesen Schalom in die Welt zu bringen: Das ist unser Auftrag, durch den unsere Botschaft wirkt. Er wird immer unvollendet und bruchstückhaft bleiben. Erst Gott wird den Schalom eines Tages vollenden. Aber bis dahin liegt es in unseren Händen.
Darum, wenn Sie es noch nicht getan haben: Gehen Sie wählen. Wählen Sie weise und nicht nur aus Gewohnheit, was Sie immer schon angekreuzt haben. Für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung. Für die Menschen, die nach uns leben wollen und die noch keine Stimme haben. Für Schalom. Denn diese Erde und die Menschen, die darin wohnen: Sie sind uns anvertraut von Gott. Heute ist ein Tag, an dem wir diese Verantwortung wahrnehmen können. Heute ist ein Tag für Schalom.

Der Glaube kommt vom Hören auf die Botschaft.
Die Botschaft aber wirkt durch den Auftrag,
den Christus gegeben hat.

Amen.