Predigt: Ich träume eine Kirche ...

Gemeinsame Predigt von Pfarrer Andreas Neumerkel (AN; Schulpfarrer an der Berufsschule), Markus Vaupel (MV, Schulreferat), Heiko Kuschel (HK, Öffentlichkeitsreferat) zur jeweiligen Amtseinführung (Autoren: jeder für seinen Teil)

Text: 1. Kor 12, 27-31
 27 Ihr seid der Leib von Christus!
Jeder Einzelne von euch ist ein Teil davon.
28 Und Gott hat jedem in der Gemeinde
seine Aufgabe zugewiesen.
Zu nennen sind:
erstens die Apostel,
zweitens die Propheten,
drittens die Lehrer.
Dann gibt es die Fähigkeit,
Wunder zu tun.
Als Nächstes die Gabe zu heilen.
Schließlich die praktischen Hilfeleistungen,
die Leitungsaufgaben
und das Sprechen in verschiedenen Arten von fremden Sprachen.
29 Sind etwa alle Apostel?
Oder alle Propheten?
Oder Lehrer?
Haben etwa alle die Fähigkeit,
Wunder zu tun?
30 Haben etwa alle die Gabe zu heilen?
Können alle in fremden Sprachen reden?
Oder können alle diese Sprachen übersetzen?
31 Aber ihr strebt ja nach höheren Gaben!

HK    So, die Herren, was machen wir denn jetzt? Das frage ich mich die ganze Zeit schon, seit ich weiß, dass wir gemeinsam eingeführt werden sollen. Wie sollen wir denn diese verschiedenen Aufgaben alle in einer Predigt unterbringen? Zwei haben mit Schule zu tun, das ist einfach, aber dann komme ich mit meiner Öffentlichkeitsarbeit dazu. Was hat das denn bitteschön miteinander zu tun? Gut, der Text, den wir vorhin gehört haben, der passt da ja eigentlich schon ganz gut. „Ihr seid der Leib von Christus!  Jeder Einzelne von euch ist ein Teil davon. 28 Und Gott hat jedem in der Gemeinde seine Aufgabe zugewiesen.“

Dass wir verschiedene Aufgaben haben und trotzdem gemeinsam Leib Christi sind, das finde ich einen ganz wunderbaren und inspirierenden Gedanken. Aber trotzdem: Was verbindet unsere Arbeit denn darüber hinaus? Ich frage mal andersrum: Was ist euch denn so wichtig an der neuen Aufgabe? Was ist für euch ganz zentral daran?

AN    Das besondere an der BS im Gegensatz zu den anderen Schularten ist, denke ich, der große Bezug zur Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler. Ich erlebe wirklich jeden Tag neu: Da sitzen keine „Kinder“ mehr vor einem, sondern junge Erwachsene, die die ersten Hürden im Leben bereits meistern mussten und gemeistert haben. Da ist die erste eigene Wohnung, der erste große Liebeskummer, das neue Berufsleben: der Chef, die Kollegen, das erste eigene Gehalt, und die Sorgen und Nöte, die mit alledem oft verbunden sind: 
„Langt das Geld bis Monatsende? (Kann ich mir das noch leisten?) War das, was der Kollege zu mir gesagt hat, schon Mobbing? War ich gerecht zu diesem und jenem, so dass ich am Abend mich selbst im Spiegel ansehen kann oder sehe ich eine Fratze, die gar nicht mehr ICH zu sein scheint?!“

Die ersten Lebensträume sind bei und über alledem vielleicht auch schon geplatzt, wie ein Luftballon und die jungen Menschen kommen mit dem ersten blauen Auge ins nachdenken: „Wer bin ich, welche Rolle – welchen Ort nehme ich in der Gesellschaft ein, und was ist, wenn ich plötzlich bei einem Unfall sterbe (Verweis auf aktuellen Todesfall an der BS 1). Was kommt dann/danach? Gibt es da etwas, das mich über den Tod hinaus hält und trägt und wie kann mein Leben, die vielen neuen Aufgaben (bei alledem) gelingen?“

MV    

Die Worte von Paulus beschreiben, dass wir als Christinnen und Christen, als Menschen, verschiedene Gaben, Fähigkeiten und Aufgaben haben.

Natürlich haben wir auch Schwächen und machen Fehler, gerade auch im Umgang miteinander. Mit dieser Grunderfahrung und Sicht auf uns Menschen und unsere Miteinander ist es mir als Pfarrer und Religionslehrer, auch für meine neuen Aufgaben als Schulreferent, wichtig Menschen zu begegnen.Wir lernen von einander, auch von Schülerinnen und Schülern.
 
In Bezug auf Schule möchte ich an die Worte der  bayerische Verfassung Art. 131 zu Aufgaben der Schule erinnern. Dort heißt es:

(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.
(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt.

Wenn Schule, also die Menschen, die Unterrichten, in Leitungsaufgaben stehen,  sich diese Worte als Grundhaltung zu eigen machen werden für mich christliche Grundwerte vermittelt.

Der evangelische Religionsunterricht ist mir deshalb auch so wichtig.

Er soll Räume für Schülerinnen und Schüler eröffnen für die Entwicklung ihrer Persönlichkeiten, im Horizont des christlichen Menschenbildes, in der Achtung vor dem menschlichen Leben und unserer Mitwelt und im ethischen Handeln sich vergewissern. Das ist eine Aufgabe, die Religionslehrerinnen und Religionslehrer immer neu fordert.

Für mich steht dabei der Dreiklang von Gottesliebe, Nächstenliebe, Menschenliebe und Liebe zu sich selbst im Mittelpunkt.  Dabei möchte ich den Begriff „Liebe“ im Sinne von Agape, Zuwendung verstehen.

HK    Das mit der bayerischen Verfassung passt ja super! Genau das versuche ich ja auch zu vermitteln – egal, ob in der Citykirche oder jetzt eben bei der Öffentlichkeitsarbeit. Schließlich geht es da ja nicht nur um Pressemitteilungen zu „nächste Woche wird Pfarrer sowieso verabschiedet“, sondern wir wollen auch mit Themen in die Öffentlichkeit gehen, die uns bewegen. So wie gerade jetzt in dieser Woche mit dem Thema Klimaschutz, wo wir uns schon im März als Dekanat klar positioniert haben. Und nächsten Freitag sind wir um fünf vor zwölf mit einer Andacht dabei hier in dieser Kirche. „Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt.“ Ja, das ist genau die Haltung, die ich gerne vermitteln möchte. So ist die Kirche, die ich nach außen vertrete. Wir haben eben auch Verantwortung für alle Menschen und für die Welt, in der wir leben.

Was uns dabei wohl auch in allen unseren Aufgaben verbindet: Wir haben alle besonders viel mit Menschen zu tun, die mit Kirche sonst kaum Kontakt haben. Klar gibt es in den Schulklassen auch Kinder und Jugendliche, die – sagen wir mal: christlich sozialisiert sind. Aber nach meiner Erfahrung erreichen wir hier sehr viele, die sonst überhaupt nichts von Kirche und Glauben wüssten.

AN    Ich meine, dass BS oft die letzte Chance von Kirche (und Staat) ist, junge Menschen religiös/ethisch/spirituell zu sensibilisieren und teils zu sozialisieren. Egal ob Christ oder BL – denn „spirituell“ (!) ist der Mensch, ob ihm das gefällt oder nicht immer – auch der Agnostiker und selbst der Atheist fragt ja nach Gott: RU an der BS kann die junge Leute dazu bringen, über sich und das Miteinander mit Anderen nachzudenken. Ihr junges Leben also „aus christlicher Sicht“ zu reflektieren und über die Wege nachzudenken, auf denen sie weiter gehen wollen: Wissend, dass diese oft bunten Wege mal steil mal eben, mal hell erleuchtet und eben auch in der tiefsten Nacht zu beschreiten sein werden. Dass sie aber eben diese Wege - und das ist mein Glaube - nicht alleine gehen werden. Sondern, dass da eine Macht mit uns geht, die größer ist, als wir uns diese überhaupt vorstellen können => und diese eine schöpferisch-liebende Macht – diese eine SEIN, nennen wir Christen „Gott“. 

MV    Ich bin überzeugt, dass der christliche Glaube uns Menschen zu einem gelingenden Leben verhilft. Gerade in den Grenzbereichen unseres Lebens, in all den steinigen Wegen, die wir gehen müssen und Todesschatten, die wir erfahren. Aber ich wieß auch darum, dass uns als Kirche es nicht immer gelingt, die Botschaft vom gelingenden Leben uns selber und Menschen nahe zu bringen. Ich weiß um die Anfragen und auch Berechtigte Kritik an Kirche, Mir hilft da mir vor Augen zu führen: es gibt die sichtbare und die unsichtbare Kirche. Die sichtbare Kirche mit ihre Gebäuden, den Kirchengemeinde, den Ämtern, dem Kirchenrecht. Das alles brauchen wir als christliche Gemeinde, die Regeln für ein Miteinander im guten und schweren. Daran kann man sich auch reiben, streiten, Kopfschütteln. Die unsichtbare Kirche hat Schnittmengen mit der sichtbaren Kirche, aber geht darüber hinaus. Da sich vielleicht auch Menschen dabei, die sich nicht als Christinnen und Christen verstehen, aber durchaus zu tiefst christlich Handeln und Leben. Wer zu dieser Kirche gehört, weiß Gott allein. 

HK    Das ist für mich eine ganz wichtige Frage. Wer ist denn eigentlich „Kirche“? Die, die wir manchmal „Kerngemeinde“ nennen, sind natürlich ein wichtiger Teil, das ist klar. Aber die anderen eben auch, und das ist sogar die überwiegende Mehrheit. Gottes Kirche ist viel weiter, als wir das fassen können. Was ist mit den vielen Bekenntnislosen, die auf Antrag am Religionsunterricht teilnehmen? Im Lauf meiner zehn Jahre als Schulreferent habe ich Hunderte von diesen Anträgen unterschrieben. Sind die auch Kirche? Einer hat mal als Begründung geschrieben: „Da ich sonst eine schlechte Heimfahrgelegenheit habe“. Dann hat er‘s durchgestrichen und drübergeschrieben: „Weil ich meine ganze Schulzeit im evangelischen Religionsunterricht verbracht habe und ich noch mehr über Gott lernen will“. Vermutlich dachte er, das wäre das, was wir von ihm hören wollten. Ist der auch Kirche? Oder nur Mitfahrer?

Oft höre ich ja auch diesen Satz: „Wir müssen die Menschen da abholen, wo sie sind“. Ich sage dann immer: Nein, müssen wir nicht. Wir sind ja kein Taxiunternehmen. Wo sollten wir sie denn auch hin bringen? In unsere Kirchen? Wir müssen da hingehen, wo die Menschen sind. Wo die Menschen leben. Wo sie arbeiten, wo sie lernen, wo sie feiern. Denn da ist Kirche. Wenn wir da nicht sind, dann sind wir nicht Kirche. Ich glaube, genau das machen wir ganz besonders in unseren sonst so verschiedenen Arbeitsbereichen.

Menschen haben ja oft noch so eine Vorstellung von Kirche, wie sie sie von früher kennen. Verstaubt, altertümlich, ohne Antwort auf die Fragen, die die Menschen heute bewegen. Aber ich glaube, wir alle haben einen Traum von Kirche, der anders ist.

Ich träume eine Kirche, die Menschen begleitet, wo sie sind und nicht erst wartet, bis sie zu uns kommen. Ich träume eine Kirche, die sich für die Schwachen einsetzt. Für die Armen, für die Ertrinkenden und für eine lebenswerte Welt auch noch für unsere Enkel.

AN    Ich träume eine Kirche … in der ich sein kann und in der ich geliebt werde, so wie ich bin; und diese Kirche besteht aus der manchmal mystischen „Gemeinschaft der Gläubigen“, die getragen ist von der unverbrüchlichen (!) Zusage – ja, der „Frohen Botschaft“ (euangelion) Jesu: „Siehe, ich bin bei Euch/Dir alle Tage, bis an der Welt Ende.“ (Mt 28)

MV    Ich träume eine Kirche … Mein Traum von Kirche finde ich den Worten des Theologen Dietrich Bonhoeffer wieder:

„Kein Mensch baut Kirche, sondern allein Christus.
Wir sollen bekennen – er baut.
Wir sollen verkündigen – er baut
Wir sollen zu ihm beten – er baut.
Wir kennen seinen Plan nicht.
Es mag sein, dass die Zeiten, die nach menschlichem Ermessen Zeiten des Einsturzes sind, für ihn die großen Zeiten des Bauens sind.
Es ist ein großer Trost, den Christus seiner Kirche gibt:
Du bekenne, verkündige und zeuge von mir.
Ich allein aber will bauen wo es mit gefällt.
Kirche tu das Deine recht, dann hast du genug getan.
Aber tue es auch recht.
Christus ist allein der Herr.
Von seiner Gnade allein lebst du, wie du bist.
Christus baut.“

(Alle):    Amen

Comments

Lieber Heiko, lieber Herr Vaupel, lieber Herr Neumerkel, danke für diese wunderbare Predigt, die ich gerade gelesen habe. Ich wünsche euch/Ihnen ganz viel Segen und Begeisterung in den jeweiligen Arbeitsfeldern.

Herzliche Grüße

Ingeborg Dümpert